Wider den Bestattungsnarzissmus
- retacaspar
- 10. Nov. 2019
- 2 Min. Lesezeit
Tote werden traditionellerweise auf Friedhöfen beigesetzt. Bis im 19. Jahrhundert lagen diese in der Regel in den Kirchhöfen. Aus Platzgründen und im Zuge der Laizisierung wurden ab dem 19. Jh. staatliche Friedhöfe eingerichtet – ausserhalb des Siedlungszentrums. Immer aber stand das persönliche Grab im Zentrum, im Gegensatz zu den "anonymen Massengräbern", die mit Krieg und Grauen in Verbindung gebracht wurden. In den letzten 20 Jahren haben insbesondere kirchenferne Menschen andere Bestattungsformen gesucht und gefunden: das punkto Unterhalt günstige Gemeinschaftsgrab entspricht den Familienrealitäten mehr, weil die Kinder meist nicht mehr an Wohn- und Sterbeort der Eltern leben. Aber auch die Kosten sind ein nicht unerheblicher Faktor. Das Geschäft mit den Toten hat lange unbeachtet floriert – neue Bestattungsformen liessen deshalb Steinmetze und Friedhofsgärtner klagen. Aber neue Bedürfnisse wecken auch neuen Geschäftsgeist. Unter den Begriffen Naturbestattungen findet man derzeit auf dem Internet alles, was man sich vorstellen kann, und noch mehr: Waldbestattungen, Alpbestattungen, Flussbestattungen, Luftbestattungen, Weltraumbestattungen, "Brilliantbestattungen" – und wen wunderts: vieles davon in der Schweiz für deutsche Kundschaft, weil hierzulande die Asche von Verstorbenen an die Angehörigen ausgehändigt wird.
Nun entsteht also nach dem aus humanistischen Gründen verständlichen Sterbetourismus auch ein Leichentourismus. Den Leichen wird das "ewige Paradies" in den Schweizer Bergen versprochen: "dem Himmel etwas näher"... Dahinter verbirgt sich ein neues Geschäft, das Geschäft mit dem Individualismus und Narzissmus. Wer selbstbestimmt leben und sterben will, will nun auch über seine Asche bestimmen. Unbedacht bleibt dabei wohl oft, dass es die Nachkommen sind, die diese Son- derwünsche zu erfüllen haben. Nicht selten kann dies eine Zumutung sein...
Eine Zumutung ist es aber bestimmt für die Umwelt: Stellen wir uns nur vor, es würde zur Mode, ein Kleinflugzeug zu starten, um jemandes Asche über uns zu verstreuen... Verständlich, dass sich da Widerstand regt, nicht nur z.B. – aus religiösen Gründen – bei den Katholiken im Wallis, sondern auch bei den FreidenkerInnen.
Lasst uns Vorbild sein in Sachen Bescheidenheit – als Leichen! Publiziert in frei denken 11/2007

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